“Unser Land braucht jetzt eine breite Einheitsfront gegen rechts:”
Auf einer Demo in Berlin gegen rechts am 3.1.1990 am sowjetischen Ehrenmal nahmen bis zu 250.000 Menschen teil – es war eine sogenannte „antifaschistische Kampfdemonstration“. Die DDR-Zeitung Neues Deutschland @ndaktuell berichtete am 4.1.1990 über diese Demo unter der Überschrift: „Unser Land braucht jetzt einen Einheitsfront gegen rechts“.
Offizieller Anlass damals: Am 28.12.1989 war das sowjetische Ehrenmal mit Parolen beschmiert worden, die von der SED als „neofaschistisch“ eingestuft wurden. Die Menschen und das DDR-Regime waren laut damaligen Presseberichten gleichermaßen entsetzt.
Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung @bpb_de findet sich ein längerer Text zu dieser Demo. Verfasst wurde er von Herr Hans-Helmuth Knütter, Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn, Verfasser von „Ideologien des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland“ und „Antifaschismus und politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland“.
Ein sehr interessanter Text.
Auszüge:
„In Reden und Parolen wurde gefordert „Nazis raus — kein Drittes Reich“, „Rotfront gegen rechts“, ‘Schönhuber mit seiner braunen Pest hat bei uns keine Chance‘“
„In der Rede Gregor Gysis hieß es: „Unser Land ist in Gefahr, und zwar von rechts. Wir müssen diese Gefahr bannen, sonst brauchen wir über demokratischen Meinungsstreit und anderes gar nicht erst zu diskutieren. Wie wollen wir denn demokratisch wählen, wenn hier die Neonazis alle Freiräume besetzen.“
Es „berührte seltsam, daß die angeblichen neofaschistischen Schmierereien nie zitiert oder im Bilde gezeigt wurden. Sie lauteten: „Besatzer raus“, „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ und „Nationalismus für ein Europa freier Völker“. Von der Tatsache der Sachbeschädigung abgesehen, rechtfertigte die Aussage der Parolen die antifaschistische Emotion nicht.“
„Deshalb kamen sehr bald Vermutungen auf, daß es sich bei dem ganzen Vorgang um eine Manipulation der SED/PDS handele, die sich auf diese Weise moralisch legitimieren wollte und überdies mit Blick auf die Volkskammerwahlen agiere, die damals noch für den 6. Mai 1990 geplant waren.“
„Die SED/PDS glaubte offenbar zu diesem Zeitpunkt, eine günstige Stimmung für sich zu spüren, wenn sie gegen „faschistische Tendenzen“ auftrat.“
„In der alternativen „Tageszeitung“ (taz) wurde der SED vorgeworfen, durch die Art ihres Vorgehens eine Einigkeit unter DDR-Parteien und -Gruppen geradezu zu verhindern; die Terminologie wie „Kampfdemonstration“, „Einheitsfront gegen rechts“ sei die Sprache von gestern, und der Verdacht liege nahe, es werde ein Spiel mit der Angst getrieben.“
„Bald tauchten Verdächtigungen auf, die Überreste des Staatssicherheitsdienstes hätten die Parolen geschmiert“.
„Im Anschluß an die Demonstration richtete die FDJ-Zeitung „Die Junge Welt“ eine spezielle antifaschistische Seite ein, die vom 4. Januar an jede Woche Plattform einer „breiten antifaschistischen Abwehrfront gegen alle Formen von Neonazismus“ sein sollte.“
„Auf (..) Kritik reagiert die SED/PDS und ihre vor allem intellektuelle Anhängerschaft mit Unsicherheit, teils aggressiv, teils defensiv, aber immer mit tagespolitischen, nie mit theoretisch vertieften Argumenten. So wird die Kritik am Antifaschismus selbst oft als tendenziell „faschistisch“ dargestellt. Die Funktion dieser Kritik am Antifaschismus sei es, das antifaschistische Engagement gegen die „Neofaschisten“, insbesondere gegen die Republikaner abzuschwächen.“
„Der Antifaschismus hat auch nach den Erschütterungen durch die „Wende“ seine emotionale Mobilisierungskraft behalten, gerade weil er weniger rational und stärker emotional auftritt. Geschürt wird die Angst vor dem Rechtsextremismus – wirkungsvoll deswegen, weil in der gegenwärtigen Übergangsphase Unsicherheit und Desorientierung zugenommen haben.“
Via P. Debionne
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t.me/Rosenbusch